Sinnblog
Sinn und andere Erfahrungen
Blog #28

Vom Sinn des Alleinseins

Verhindert Einsamkeit Sinnerfüllung?

Sozial eingebunden zu sein, ist eines unserer Grundbedürfnisse. Wir wollen dazugehören, kommunizieren, andere unterstützen und selbst anerkannt und unterstützt werden.

Person in orangefarbenem Kapuzenpulli, die auf einem Boden mit großen weißen Tupfen sitzt und den Blick abwendet.

Fühlen wir uns sozial zurückgewiesen oder einsam, hat das negative Auswirkungen auf unser Wohlbefinden und unsere Sinnerfüllung. Können wir also, ohne den Kontakt zu anderen, nicht sinnerfüllt sein?

Was bedeutet es, allein zu sein?

Allein zu sein, kann sich für jeden Menschen anders anfühlen. Einige von uns genießen die Ruhe und Unabhängigkeit im Alleinsein. Andere fühlen sich einsam und leiden darunter. In unserer westlichen Welt legen wir generell großen Wert auf Individualisierung. Wir wollen unabhängig, frei und einzigartig sein. Das Alleinsein kann hier also auch für Autonomie und Freiheit stehen. Doch der Individualismus hat auch Schattenseiten: Es kann schnell passieren, dass wir uns isoliert und einsam fühlen. Das Gefühl, sozial ausgeschlossen zu sein, kann uns das Leben als sinnlos erscheinen lassen. Es kann die Freude am Leben nehmen und unsere körperliche und seelische Gesundheit beeinträchtigen. So kann Einsamkeit sogar unser Immunsystem herabsetzen.

Brauchen wir andere?

Wenn wir Hilfe brauchen, sind wir nicht zwangsläufig auf Beziehungen angewiesen. Wenn die Heizung nicht mehr funktioniert, rufen wir eine Fachkraft, die das Problem behebt. Für vieles, was wir benötigen, können wir eine Dienstleistung in Anspruch nehmen. Doch macht ein Leben in Gemeinschaft vieles leichter. Wir können schwierige Erlebnisse besser verkraften, wenn wir eine Person an unserer Seite haben, die uns unterstützt. Außerdem brauchen wir andere, um uns selbst zu entwickeln. Ein Beispiel: Versuche dich mit drei zutreffenden Eigenschaften zu beschreiben. Fällt dir auf, dass der Großteil dieser nur im Kontakt zu anderen Sinn ergibt? Auch für die Sinnerfüllung ist es wichtig, dass wir uns als Mitglied der Gesellschaft  erleben. Denn wir wissen aus der Forschung, dass Menschen, die sich nur auf ihre Selbstverwirklichung  fokussieren, nicht sinnerfüllter sind, als diejenigen, die gar keine Sinnquellen in ihrem Leben haben.

Alleinsein fürs Zusammensein?

Doch so paradox es auch klingen mag: Um mit anderen in Beziehung zu treten, ist es wichtig, dass wir auch mit uns allein sein können. Denn wer nicht gut mit sich allein sein kann, schöpft auch weniger aus dem Kontakt zu anderen. Empfinden wir das Alleinsein als belastend und wünschen wir uns, mehr in Kontakt mit anderen zu stehen, können wir also versuchen uns besser kennenzulernen. Wir können uns zum Beispiel die Fragen stellen: Wer bin ich? Wer will ich sein? Wie sieht die Welt aus, die ich mir wünsche? Was ist meine Rolle in ihr? Wenn wir uns in einen „Dialog“ mit uns selbst begeben, sind wir dadurch schon weniger einsam.

Was das Sinnerleben angeht: das können wir auf viele verschiedene Arten erreichen. Wir brauchen dazu nicht zwingend den Kontakt zu anderen. Allerdings scheinen vor allem die Sinnquellen besonders stark  zu sein, in denen wir in irgendeiner Form von Beziehung sind.

Sinnfragen

Alleinsein beschreibt einen äußeren Zustand – ich bin für mich. Einsamkeit hingegen ist ein inneres Erleben: das Gefühl, nicht verbunden zu sein. Ich kann allein und dabei erfüllt sein. Oder unter Menschen und mich dennoch einsam fühlen. Entscheidend ist, ob ich mich zugehörig fühle – zu anderen, zur Welt, zu mir selbst.

Wer gut allein sein kann, kennt sich selbst. Und wer sich kennt, ist weniger abhängig von äußeren Bestätigungen. Das Alleinsein bietet Raum für Selbstbegegnung, für Klärung: Was ist mir wirklich wichtig? Wo stehe ich? Wo will ich hin? Diese innere Orientierung trägt – gerade in Zeiten der Unsicherheit.

Sinn ist nichts, das man konsumiert – Sinn entsteht in der Auseinandersetzung mit sich und der Welt. Das Alleinsein schafft den notwendigen Freiraum: um innezuhalten, sich zu fragen, was zählt, und den Mut zu finden, entsprechend zu handeln. Es ist eine leise, aber kraftvolle Form der Selbstverantwortung.

Alleinsein und Gemeinschaft schließen sich nicht aus – sie ergänzen sich. Erst durch beides können wir Zugehörigkeit bewusst erleben. Wer sich in sich selbst zu Hause fühlt, kann auch in Beziehungen freier sein. Gemeinschaft wird dann nicht zur Flucht vor dem Alleinsein, sondern zur Wahl – auf Augenhöhe.

Es beginnt mit kleinen Momenten: Spazierengehen ohne Ablenkung, bewusstes Atmen, Gedanken aufschreiben. Wer diese Zeiten nicht gleich füllen muss, entdeckt: Da ist mehr. Vertrauen wächst, dass das Alleinsein kein Mangel ist – sondern ein Raum, in dem ich mir selbst begegnen kann.

Quellen

https://www.zeit.de/zustimmung?url=https%3A%2F%2Fwww.zeit.de%2Fsinn%2F2022-07%2Fpartnerschaft-alleinsein-glueck-besser-leben Schnell, T. (2020). Die soziale Dimension des Lebenssinns. In Psychologie des Lebenssinns (pp. 99-116). Springer, Berlin, Heidelberg.

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