Sie haben mit dem Sinn im Leben einfach wenig am Hut. Das bezeichnen wir als einen Zustand der “Indifferenz.” Was bedeutet das?
Wie wird Indifferenz erlebt?
Ein gar nicht so unerheblicher Teil von uns erlebt lange Zeiten der Indifferenz. Dabei sind Menschen weder sinnerfüllt, noch leiden sie unter einer Sinnkrise. Sie stellen sich schlichtweg nicht die Frage nach ihrem Lebenssinn. Ein Sinn im Leben ist ihnen einfach nicht so wichtig. Knapp ein Viertel der Gesamtbevölkerung lässt sich dieser Gruppe zuordnen. Ein großer Teil von ihnen befindet sich im mittleren Erwachsenenalter. Ähnlich wie bei der Sinnkrise wird auch Indifferenz im höheren Alter seltener.
Mit Sinn nichts am Hut?
Wenn die Sinnerfüllung niedrig ist, sind auch die Sinnquellen gering ausgeprägt. Indifferente Personen zeigen unter anderem ein niedriges Maß an sozialem Engagement. Sie haben kein Interesse an etwas Übernatürlichem oder daran einen Beitrag für ein größeres Ganzes zu leisten. Denn auch Religiosität, Spiritualität und Spuren hinterlassen lehnen sie eher ab. Gleichzeitig ist auch die Sinnquelle Selbsterkenntnis gering ausgeprägt, da sie es vermeiden, sich selbst zu erkunden. Das erklärt zum Teil, warum sie das eigene Leben als nicht sinnvoll erleben. Denn das Wissen darüber, wer wir wirklich sind, hängt eng damit zusammen, ob wir unser Leben als sinnvoll wahrnehmen. Gleichzeitig braucht es, auch um Spuren zu hinterlassen, eine gewisse Selbstkenntnis. Wenn wir also nicht wissen, wer wir sind, wird es schwierig, dass wir uns für andere einsetzen.
Worin liegt dabei die Gefahr?
Das Wissen darüber, wer wir wirklich sind, hängt aber nicht nur mit unserer Sinnerfüllung zusammen, sondern auch mit unserem subjektiven Wohlbefinden. In der Indifferenz haben Menschen zwar kein besorgniserregend niedriges Wohlbefinden, aber eben auch kein hohes. Dennoch haben sie Einbußen in ihrem täglichen Leben. Den Herausforderungen, welche an sie gestellt werden, sehen sie sich oft nicht gewachsen. Sie haben den Eindruck, dass sie die Ereignisse in ihrem Leben sowieso nicht beeinflussen können. Sie sehen in ihrem Handeln keine Bedeutsamkeit, fühlen sich überfordert und ziehen sich lieber zurück. Diese Passivität führt im schlimmsten Fall zu einem völligen Rückzug und Isolation. Gleichzeitig wollen sie lieber den Ist-Zustand aufrechterhalten, als sich oder die Umgebung zu verändern. Denn auch das würde eine Auseinandersetzung mit der eigenen Person erfordern. Dabei kann es jedoch leicht passieren, dass ihre Bedürfnisse verborgen bleiben oder übersehen werden.
Braucht es einen Weg aus der Indifferenz?
Um diese Teilnahmslosigkeit zu überwinden, bräuchte es unser aller Aufmerksamkeit. Was sehen wir in unserer Gesellschaft als gut und wichtig an? Der vorherrschende Leistungsdruck und das gesellschaftliche Konkurrenzdenken können erklären, warum manche sich lieber zurückziehen als das Risiko eines Misserfolgs einzugehen.
So aber bleiben diese Personen hinter ihren Möglichkeiten und laufen Gefahr, in unserem System übersehen und benachteiligt zu werden. Zum einen werden ihre Meinungen und Bedürfnisse nicht vertreten. Zum anderen besteht die Gefahr, dass sie sich von der Gesellschaft noch mehr entfremdet erleben. In einem Zustand der Entfremdung sind die Beziehungen zu mir selbst und zur Umwelt gestört. Ich tue, was "man" tut, ohne zu spüren, ob dies tatsächlich der richtige Weg ist.
Was diesen Zustand unterbrechen kann, ist die Erfahrung, dass es auch auf mich ankommt. Was kann ich gut, und wo kann ich das anwenden? Manchmal sind es die ganz kleinen Dinge, die uns aus der Indifferenz herausholen. Die Freude eines Menschen, dem ich ein Geschenk mache. Die Freude über mich selbst, wenn ich mich traue, ganz ich selbst zu sein.
Sinnfragen
Wenn Menschen sagen, dass ihnen der Sinn egal ist, spricht man von existenzieller Indifferenz. Das heißt: Sie erleben keinen Sinn in ihrem Leben – und vermissen ihn auch nicht. Es fehlt sowohl das Gefühl von Stimmigkeit als auch die Sehnsucht nach Orientierung. Für Außenstehende wirkt das oft unverständlich, doch für die Betroffenen ist dieser Zustand meist spannungsarm – aber auch leer.
In einer Sinnkrise wird Sinn als schmerzlich vermisst. Die Erfahrung: Da fehlt etwas Entscheidendes – aber man weiß nicht, wie man es findet. Bei Indifferenz hingegen fehlt genau dieses Vermissen. Beide Zustände können von außen ähnlich wirken, innerlich aber sind sie sehr unterschiedlich. Eine Krise kann der Anfang von Veränderung sein. Indifferenz bleibt oft still.
Wer innerlich gleichgültig ist, zieht sich häufig auch gesellschaftlich zurück. Studien zeigen: Menschen mit Indifferenz beteiligen sich seltener politisch, sozial oder beruflich. Sie erleben kaum Zugehörigkeit – und fehlen damit auch als Mitgestaltende. In Zeiten von Krisen und Wandel braucht es jedoch genau das Gegenteil: Menschen, die sich einbringen und mit Sinn verbunden sind.
Sinn lässt sich nicht erzwingen – aber entdecken. Oft hilft der Blick auf den Alltag: Was berührt mich? Was würde mir fehlen, wenn es nicht mehr da wäre? Die Forschung kennt 26 mögliche Sinnquellen – von Natur bis Wissen, von Gemeinschaft bis Genuss. Wer anfängt, sich diese Fragen zu stellen, begibt sich bereits auf den Weg. Sinn entsteht, wo wir uns als lebendig und verbunden erleben.
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