Die Sinnerfüllung bei Personen mit höherem Bildungsabschluss scheint größer zu sein als bei Personen mit niedrigerem Bildungsstand. Heißt das, dass Sinnerfüllung mit Intelligenz zusammenhängt? Nein, das ist nicht der Fall: Vor allem Hochintelligente berichten von mehr Sinnkrisen. Wie passt das zusammen?
Fehlende Wertschätzung und Förderung in der Schule
Häufig gehen wir davon aus, dass es vor allem hochintelligente Menschen besonders leicht im Alltag und in der Schule haben. Sind sie doch bekannt dafür, schwierige Dinge sofort zu verstehen. Doch so ist es eben nicht. Hochintelligente – das sind Menschen mit einem Intelligenzwert über 130 – sind in den normalen Schulsystemen oft unterfordert und bräuchten eigentlich eine besondere Förderung. In vielen Fällen allerdings wird den überdurchschnittlichen Fähigkeiten von Seiten der Schule keine Beachtung geschenkt. Natürlich gibt es somit auch keine Wertschätzung - vor allem, wenn die Betroffenen ungewöhnliche Ideen haben, unübliche Lösungswege einschlagen oder anderweitig anecken. Diese negativen Schulerfahrungen können zu einer Sinnleere führen. Denn: Betroffene erleben sich nicht zugehörig, da sie sich als „anders“ als ihre Klassenkameradinnen und -kameraden wahrnehmen. Durch die fehlende Förderung innerhalb der Schule erleben sie ihre eigenen Fähigkeiten und Leistungen als nicht stimmig. Ihr Denken passt nicht zu dem der anderen. Auch ihr Handeln verliert an Bedeutsamkeit, wenn es nicht anerkannt oder wahrgenommen wird.
Perfektionismus und gesellschaftliche Erwartungen
Zusätzlich spielen gesellschaftliche Erwartungen an hochintelligente Personen eine entscheidende Rolle. Denn ihnen werden besondere Talente und Fähigkeiten zugeschrieben. Werden diese Ansprüche von den Hochintelligenten selbst verinnerlicht, kann es zu Problemen kommen, sobald sie diese Erwartungen nicht erfüllen. Mit der Zeit entwickeln sie einen besonders kritischen Blick auf sich selbst. Alles, was hinter dem Anspruch an Perfektion zurückbleibt, wird als wert- und sinnlos erlebt. Diese Sinnlosigkeit kann zu einer Sinnkrise führen.
Generativität und Selbstkontrolle als Sinnstifter
Doch es ist natürlich nicht so, dass hochintelligente Personen keine Sinnerfüllung erleben können. So haben Studien gezeigt, dass auch Hochbegabte Sinn erleben, wenn sie Spuren hinterlassen können. Jedoch fühlen sie sich erst dann wirklich wohl, wenn sie sich auch als selbstkontrolliert erleben. Das heißt, dass sie ihr Verhalten selbst steuern und ihre Impulse und Bedürfnisse regulieren können.
Sinnerfüllung bei niedrigen Bildungsabschlüssen
Woran liegt es, dass auch Personen mit niedrigerem Bildungsabschluss weniger sinnerfüllt sind als zum Beispiel Abiturientinnen? Das kann unter anderem an gesellschaftlichen Entwicklungen liegen. Weitergehende Bildung hat einen zentralen Stellenwert in unserer Gesellschaft. Es wird als unsere Pflicht und Verantwortung angesehen, uns ständig zu verbessern. Beruflicher Misserfolg wird in der Regel auf die Person selbst zurückgeführt. “Hätte er oder sie sich doch besser anstrengen sollen!” Zudem werden niedrigere Bildungsabschlüsse immer wieder abgewertet. Teilweise sogar von den jeweiligen Personen selbst. Sie fühlen sich dadurch benachteiligt und gegebenenfalls nicht zugehörig. Gleichzeitig sehen sie aber den gesellschaftlichen Imperativ der ständigen Selbstverbesserung. Auch wenn sie eigentlich kein Bedürfnis danach haben. Das kann zu einem Verlust an Stimmigkeit führen. Aber auch zu fehlender Bedeutsamkeit, wenn sie tatsächlich versuchen sich zu verbessern – und aufgrund vorherrschender Vorurteile scheitern. Die Sinnerfüllung kann unter diesen Gegebenheiten leiden.